Stille ist der vorherrschende Geräuschzustand in der Kirche.
Diese Stille ist so präsent, so direkt greifbar, dass selbst das Flackern der Kerzen am Altar als mutwillige Störung wahrgenommen werden kann.
Liam kniet vor dem Altar, seine Augen geschlossn, still ein stummes Gebet mit dem Mund formend. Abendvesper, zwei Rosenkränze und ein Vaterunser.
Viel war heute nicht los in seiner Gemeinde. Ms. Robinson aus der Harrison Street hatte heute der Kirche einen Besuch abgestattet, ihr Mann hat heute seinen Todestag. Eine Spende hatte sie vorbeigebracht und mit von Nikotin zerfressener Stimme nach einer Spendenquittung verlangt. Drei Beichten hatten heute erneut den Tag versüßt, ein Teeager, der den ersten Sex hatte und ein Mann, der sich dazu bekannt hatte eine Trideosexsucht zu haben waren hierbei die Höhepunkte gewesen. Berufsalltag hier in dieser Gegend. Nichts Neues mehr für Liam. Zwei Rosenkränze und sechs Vaterunser pro Tag für eine Woche und anschließend noch eine Therapie gegen Holosexsucht.
Doch etwas war heute anders. Junky, ein Cherubim, war bei Liam in der Kirche vorbeigekommen und hatte von einem Anzug-Jonny berichtet, der sich angeblich hier im Viertel rumtreiben sollte. Eine seltasame Sache, da man Anzüge hier mehr als nur selten zu Gesicht bekam. Somit gab es nur zwei Möglichkeiten: ein Konzern- Mensch, der sich verirrt hatte (eher die unwahrscheinlichere Variante), oder aber ein Mann, der jemanden suchte... jemanden bestimmtes.

Junky war ganz aufgeregt als er zu Dir kam und Dir von dem Sararimann berichtete: Schweiss stand ihm auf der verpickelten Stirn, scheinbar ist er zu Dir gerannt. Du merkst sofort an seinem Auftreten, dass er ein schlechtes Gewissen hat. Seine Augen flackern staendig wieder zum Ausgang, als wolle er so schnell wie moeglich weg. Auch piept sein Handy die ganze Zeit ueber leise. Mit festem Blick in sein kleinen Schweinsaugen stellst ihm ein paar Fragen ob ihm etwa zu heiss sei oder ob er die "Milch auf dem Herd hat stehen lassen, eh", merkst aber, dass er mit der eigentlichen Wahrheit nicht so ganz rausruecken will.

<<<Junky ist ein Norm, klein, ca. 16 Jahre, schmaechtig...die Cherubimsweste hat er sich noch nicht verdient, hat also noch keine Verdienste fuer die katholische Gemeinde hier erledigt (wie z.B. einem protestantischen Swatter den Kopf abgerissen). Du weisst von ihm das seine gottesfuerchtige Mom ihn schlaegt und er riesen Angst vor seinem prugelnden Vater hat, der seit Jahren nicht mehr nuechtern in der Messe war. Karten ziehen nicht vergessen>>>

Du packtest den sich windenden Bengel und zitierste eine Passage aus der Bibel, in dem es einem Luegner so richtig an den Kragaen ging, Horrorschau mit Pech und Schwefel und waehrend du laut rizitierste, hautest Du ihm bei besonders dramatischen Stellen schallend auf die inzwischen traenenueberstroemmten Wangen. "DU *Platsch* SOLLST *Platsch* NICHT *Platsch* LUEGEN!" Das Klatschen echote in der kleinen Kapelle und der Junge heulte unbeholfen.
Mit diesen Worten stiesst Du ihn auf eine Sitzbank. "So, und jetzt erzaehlst Du mir, warum du so verdammt nervoes bist, Junge! Hab Gottvertrauen!"

"Die...die anderen Boyz...wir sie also...der Anzugsmann, ne, der *er schluckt und zieht Rotz die Nase* hoch..na, wir also sie haben sich gedacht, dass das Weichei da bestimmt ne Menge Kohlen bei sich hat und...naja Chucks und Leeto haben sich irgendwie gegenseitig auf den Koffer heiss gemacht und *er wischt sich trotzig das Gesicht* Ihr wisst doch genau, wie dringend wir das Geld brauchen!! Die verdammten Natives und die Gooners machen uns fertich! Wir brauchen auch endlich was, um unseren Anspruch auf das Viertel klar zu machen!"

Du richteste Dich auf, in Deinen Gedanken zogen die Bilder von Chucks, einem Berg von Ork, dem der Herr mehr Adrenalin und Gier als Hirn und Anstatt verpasste und Leeto, einem spindelduerren missgeratenem Menschlein, dass die Schlechtigkeit in seinen Augen schon seit langem nicht mehr vor Dir verbergen kann, umher und dir schwante Ungutes...

Ein milchig-trüber Dunstschleier lag über dem Metroplex und verlieh seinen Straßen und Häusern einen tristen Anstrich. Der Abend war bereits angebrochen und die Sonne nur noch ein heller Streifen am Horizont. Dort, wohin ihr Licht nicht mehr reichte, flammten nach und nach vereinzelt Leuchtreklamen und Straßenlaternen auf. In langen Schlangen schoben sich Autos und Menschen über den Asphalt, der Nacht und dem ersehnten Feierabend entgegen. Das Atmen in dieser Menge wurde zu einer äußerst schwierigen Angelegenheit.

Samara ließ sich von der Menge die 7th Avenue zur Busstation hinunter tragen. Der Geruch nach Schweiß stieg ihr in die Nase, als sie sich in den überfüllten Bus quetschte. Ihre abgetragene Lederjacke machte die Fahrt zwischen all den Leuten zu einem äußerst unangenehmen Erlebnis.
Entspannt ließ sie sich auf einen harten Plastiksitz sinken, als sich, mit zunehmender Entfernung von Downtown, endlich der Bus bis auf wenige Passagiere geleert hatte.
Teure Geschäfte, moderne Bürobauten und neuste Vehikel wechselten nach und nach in heruntergekommene Bars und mit Graffiti besprühte Wohnblöcke über, Autos fuhren hier nur noch wenige.
Mit Ausnahme zweier heruntergekommener Gestalten, die schweigsam auf ihren Sitzen gekauert hatten, war Samara die einzige Passagierin, die der schwitzende Busfahrer schließlich nach über einer Stunde Fahrt an der Endstation in die Dunkelheit entließ.

Samara nahm einen tiefen Atemzug. Die Luft war trocken und stickig.
Der Geruch nach verbranntem Metall mit einer Note Kloake, dachte Samara, herzlich willkommen in Seattles berühmt berüchtigten Puyallup Barrens.
Sie ging langsam die scheinbar verlasse Straße entlang. Es grenzte an ein Wunder, dass bis in diese Gegend noch ein Bus fuhr. Die Aussicht war trostlos. Von den wenigen Straßenlaternen, die es hier noch gab, spendeten die meisten schon lange kein Licht mehr und die Bürgersteige waren mit Unrat jeglicher Art übersät. Ausgebrannte Autowracks säumten die Straße und viele Häuser sahen aus, als hätte sich eine Horde schießwürdiger Ganger über sie hergemacht – was vermutlich auch der Fall gewesen war. Dank ihrer lichtverstärkenden Augen und der Möglichkeit ihre Umgebung zudem astral wahrzunehmen zu können, konnte sie auch die Squatter erkennen, die sich in den Schatten der Müllcontainer und Häuserschluchten verbargen und sie entweder misstrauisch beäugten oder nicht weiter beachteten.
Samara warf einen Blick auf ihr Kommlink. Der rote Punkt, der ihr Ziel markierte, blinkte nur einen Häuserblock von ihrem derzeitigen Standpunkt entfernt und zeigte ihr, dass sie auf dem richtigen Weg war. Ohne diese technische Hilfe, hätte sie Mühe gehabt sich in den düsteren Gassen des Unterstadtviertels zu orientieren und kein Teil dieser Stadt, dessen Name auf Barrens endete, war ein Ort, an dem jemand mit Verstand sich verlaufen wollen würde.
Langsam und möglichst unauffällig ging sie weiter. Sie hatte sich bemüht das passende Outfit für ihr Vorhaben zu finden, was vor allem geheißen hatte, so auszusehen, als gehöre man hierher. Es war ihr offensichtlich gelungen, denn niemand sprach sie an.
Manchmal zahlt es sich eben aus, schon einmal in solch einer Umgebung gelebt zu haben, ging es ihr durch den Kopf.

»SCHEIßE, Mann!«, ertönte plötzlich eine schrille Stimme aus dem Dunkeln nicht weit weg von ihr und riss Samara aus ihren Gedanken, so dass sie unwillkürlich zusammenschrak.
»Man, halt’s Maul du Penner! Du verrätst uns noch mit deinem Geschrei«, erklang eine weitere Stimme, die eindeutig einem männlichen Schwergewicht zuzuordnen war, dass Samara in einiger Entfernung aus einer Gasse hinaustreten sah.
Samara blickte sich suchend um und duckte sich dann hinter einem Stapel ausgeschlachteter Elektronikgeräte am Straßenrand, über den sie vorsichtig hinwegspähte.

»Ey, was machen wir jetzt? Scheiße, Alter! Scheiße, verflucht! Und der Koffer mit der Kohle ist auch weg«, vernahm Samara erneut die erste Stimme, die offensichtlich einem drahtigen Jungen zu gehören schien, der nach dem Ork um die Hausecke bog.
»Wenn du nich’ still bist du Noob, dann dreh’ ich dir den Hals um!« Mit diesen Worten packte der Ork seinen Begleiter am Kragen und presste ihn an die nächstgelegene Hauswand.
»Ham’ wir uns verstanden Junky?« Der Junge trat wild mit den Beinen um sich, murmelte etwas und der größere ließ ihn langsam wieder hinunter.
»Du wirst jetz’ zum Pater geh’n und ihm erklär’n was passiert is’, klar?« Der Ork sah sich flüchtig um. »Ich werd’ solang’ den verdammten Bastard Leeto suchen geh’n.«
»Ey, das ist voll unfair Chucks, das war nicht…«, setzte Junky zu einer Erwiderung an, als Chucks ihn erneut am Kragen packe und heftig zu schütteln begann.
»Maul halt’n, klar? Du hast hier nix zu meld’n. Mach’ was ich sage, sonst wird deine Mami heul’n, wenn sie dich’s nächste Mal sieht, falls sie dich überhaupt erkennt!«
Mit einem lauten Stöhnen landete Junky unsanft und mit dem Hintern zuerst auf dem Boden. Schnell sprang er wieder auf und begann, ohne sich noch einmal umzudrehen, die Straße hinunter zu rennen. Chucks blickte ihm hinterher bis die Dunkelheit ihn verschluckt hatte und verschwand dann erneut in der Gasse, aus der er zuvor gekommen war.

In einer dunklen Gasse, nicht weit entfernt vom Stairways, der Stammkneipe der Cherubims...

Ein nasse Klatschen gegen die Wand war zu hoeren. Ein schmerzerfuelltes Stoehnen ertoehnte und wurde von einem leisen Kichern unterbrochen: "Hehe...dachtest Du echt, es is' clever, sich die Tasche an die Hand zu fesseln? Du scheiss Drekhead...dann lass uns doch mal schauen, was Du da hast..." Man hoert ein Knacken und das Klappern von Plastik "Jackpot!...weisst Du was, Jonnymann...bevor ich Dich absteche wie ein fragg' Schwein, muss ich Dir noch sagen, dass Du mich zum gluecklichsten kleinen motherfucker der Welt gemacht hast. Das sollte genuegen, um Grudge von meinem lieblichen Charakter zu ueberzeugen...und ein bisschen was fuer meine Spesen ist auch noch uebrig"

Eine roechelnde Stimme versuchte zu antworten "Lass...lassen sie mich gehen...bitte! Ich...augh!"

-"DU SHITHEAD! Hab ich Dir erlaubt zu reden?!...oh man, ich werd' Dich leiden lassen, Mann. Denkste, bist was besseres was?! kannst hier hinkomm mit Deiner huebschen kleinen Krawatte und deinem huebschen kleinen Gehabe und uns nach Deiner Peife tanzen lassen, was?! Ich hab noch nichtmal angefangen, mit Dir..." -Ein metallisches Geräusch ertönte. "...Willkommen in Puyallup, Con-Mann."

Von einer Sekunde zur nächsten verzerrt sich die Welt und wird zu einem Reich aus verschwommenen Konturen und pulsierenden Schatten. Ein gleißend weißes Licht überblendet alles, so als ob jemand plötzlich ein dutzend Neonscheinwerfer zugleich eingeschaltet hätte. Es ist das Gebäude, das wie ein astrales Leuchtfeuer strahlt und sich Samara in den Geist hinein zu brennen scheint.
Darauf ist sie nicht vorbereitet gewesen. Für einen Moment wendet sie sich ab und blickt sich um. Neben der Kirchentür windet sich ein trüber Schemen, dessen Erscheinung wenig Zweifel am Gesundheitszustand des Besitzers aufkommen lässt. Im Dunkeln, etwas weiter entfernt von ihr, sind die Auren weiterer Lebewesen zu sehen. Als Samara ihre Wahrnehmung wieder auf die Kirche richtet und tiefer in ihr gleißende Licht zu schauen versucht, erkennt sie in seiner Mitte eine zweite, aber eindeutig humanoide Signatur. Und noch etwas anderes, das sie beunruhigt.
Ebenso schnell wie zuvor, erlischt das Leuchten und die Welt ist wieder so dunkel und plastisch wie zuvor.
Samara schlägt die Augen auf.
Sie steht noch immer auf den Stufen zur Kirche und nimmt ein paar tiefe Atemzüge, um ihren Herzschlag zu beruhigen. Der Obdachlose zu ihren Füßen grunzt und wälzt sich dabei von einer zur anderen Seite. Die halbleere Bierdose fällt ihm aus der Hand und scheppert die Treppenstufen hinunter, während sie ihren restlichen Inhalt auf dem Stein verspritzt.
Die Musik im Nachbarhaus verstummt im selben Augenblick, in dem Samara durch die offene Flügeltür in den hell erleuchteten Raum dahinter tritt.
Es ist eine Person, vermutlich der Pater, zu dem der Ork den Jungen geschickt hatte, bewaffnet und magisch aktiv und – so glaubt sie – derjenige, der ihr die Antworten geben konnte, die sie jetzt brauchte.

Amüsiert zieht Samara eine Augenbraue hoch und mustert den Priester, während sie langsam auf ihn zugeht. Welches Spiel wird hier gespielt? Roben… Waffen… Magie… und welche DAME hat es je freiwillig in die Barrens von Seattle verschlagen?
Ihre Stimme klingt fest, aber leise, als sie ihm antwortet.
»Das fällt jetzt wohl unter die Rubrik unerklärlicher Dinge dieser Welt, an einem solchen Ort auf diese Art begrüßt zu werden. Und es ist entweder unglaublich naiv oder verdammt mutig, dass Ihr Eure Waffen der nächstbesten Bank anvertraut – oder lasst Ihr immer Eure Verteidigung fallen, sobald eine Frau Euer Haus betritt, Pater? ... Aber bei so viel Höflichkeit fasse ich mich kurz.«
Ein undeutbares Lächeln huscht über ihr Gesicht, dann fällt sie vor Liam auf die Knie und ruft laut: »Pater, rette meine Seele, ich habe gesündigt! Lass mich dir beichten, ich flehe dich an! Hilf mir!«
Sie senkt sanft den Kopf und als Liam die Hand in ihre Richtung ausstreckt, flüstert sie: »Wir werden beobachtet. Gibt es hier einen sicheren Ort, an dem wir ungestört sprechen können?«

»Ihr müsst einen mächtigen Gönner haben, dass Ihr so gut ausgestattet seid.«
Samara öffnet mit einem Ruck ihre Lederjacke und lehnt sich langsam auf der Sitzbank nach vorne.
»Wer investiert derartigen Schutz in einer Kirche in der Unterstadt?«

»Ich hatte bis vor kurzem eine Verabredung auf Eurem heiligen Boden«, antwortet Samara auf Liams Frage. Und es wirft ein ganz anderes Licht auf die Sache, wenn es sich um einen magischen Hightech-Bunker handelt und nicht um eine schlichte Kirche.
»Doch leider wird dieses Treffen wohl nicht termingerecht stattfinden und wenn ICH die Zeichen richtig deute, dann haben mindestens zwei Eurer Bekannten da ihre Finger im Spiel. Etwas, das Euch Pater, offensichtlich auch nicht eben mit Begeisterung erfüllt, bedenkt man den lieben Junky, der sehr verzweifelt aussah, als er vor wenigen Minuten Eurer Gegenwart entkam.«

Auf Samaras Gesicht macht sich ein angespannter Ausdruck breit.
Woher weiß er, wen ich hier treffen wollte?
Ist das eine Falle und der Pater spielt den Lockvogel?
»Manchmal trügt der Anschein.«
Ein kurzer Moment des Schweigens entsteht und das Geräusch der Entsicherung einer Schusswaffe ist in der Stille des Beichtstuhls zu hören.
»Wenn Ihr mich überzeugen könnt, dass wir tatsächlich dasselbe Ziel haben, werde ich sie wieder einstecken. Also sagt mir Pater, wen Ihr sucht und mit welchem Ziel?«